Evangelische Räte

Armut
Die Evangelien warnen vor der Bindung an irdische Güter und verlangen einen einfachen Lebensstil. Wir leben in dem Bewußtsein, alles von Gott empfangen zu haben und, so nakt wie wir auf diese Erde gekommen sind, auch wieder zu gehen. Wir streben nach einem Leben in relativer Armut: nach paulinischer Maxime soll uns Kleidung und Nahrung genügen und unsere tägliche Arbeit dazu dienen, keinem zur Last zu fallen. Im Gegenzug freuen wir uns über ein großes Maß an Ungebundensein und ernten ein kostbares Gut: Zeit mit den Kindern, unseren Familien, in der Gemeinschaft und Zeit für die Hingabe an unseren Nächsten.

Keuschheit
Wir verstehen unter Keuschheit die Bewahrung der Augen, Ohren und Gedanken vor Dingen, die die natürliche oder erworbene Schamhaftigkeit verletzen. Dazu gehören auch der bewusste Verzicht auf sexuelle Handlungen bei unverheirateten Personen und beim Ehepaar der Verzicht auf sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe. Die Keuschheit wird als christliche Tugend und moralische Anforderung aus dem 6. Gebot („Du sollst nicht die Ehe brechen“, Ex 20,14 EU) und den Worten des Apostels Paulus abgeleitet, der den Leib als einen „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19 EU) bezeichnet. Die Keuschheit ist auch eine der Früchte des Heiligen Geistes (Gal 5,22 EU). Die Tugend der Keuschheit wird dabei auch von der Kardinaltugend der Mäßigung abgeleitet.

Die römisch-katholische Kirche prägte den Begriff der ehelichen Keuschheit. Promiskuität und Ehebruch werden von allen christlichen Kirchen abgelehnt.

Die römisch-katholische Kirche setzt Keuschheit nicht mit sexueller Enthaltsamkeit gleich.

„[Die Keuschheit] soll die Menschen in den verschiedenen Lebensständen auszeichnen: die einen im Stand der Jungfräulichkeit oder in der gottgeweihten Ehelosigkeit, einer hervorragenden Weise, sich leichter mit ungeteiltem Herzen allein Gott hinzugeben; die anderen, in der für alle vom Sittengesetz bestimmten Weise, je nachdem ob sie verheiratet oder unverheiratet sind.“

Der Kirchenvater Ambrosius von Mailand schreibt:

„Es gibt drei Formen der Tugend der Keuschheit: die eine ist die der Verheirateten, die andere die der Verwitweten, die dritte die der Jungfräulichkeit. Wir loben nicht die eine unter Ausschluss der anderen. Dies macht den Reichtum der Disziplin der Kirche aus.“

Die in die Beziehung und in die gegenseitige Hingabe von Ehepartnern eingebettete Sexualität ist nicht Unkeuschheit, sondern sogar wünschenswert.

Gehorsam
Wir verstehen unter Gehorsam die Bereitschaft zur Einordnung in eine Gemeinschaft. Gehorsam bedeutet für uns auch, korrekturfähig zu bleiben und den anderen höher zu achten, als sich selbst. Wer Teil unserer Bruderschaft/Schwesternschaft wird, lebt im Gehorsam gegenüber dem demokratisch gewählten Prior und unterstellt sich sowohl unserer Regel als auch der Autorität das kirchliche Lehramtes (magisterium ecclesiae).


Gegenwärtiges Verständnis
Die dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche, Lumen gentium, führte in Bezug auf die allgemeine Berufung des Christen zur Heiligkeit aus:

„Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden, zur Heiligkeit berufen […]. Sie [die Heiligkeit] drückt sich vielgestaltig in den Einzelnen aus, die in ihrer Lebensgestaltung zur Vollkommenheit der Liebe in der Erbauung anderer streben. In eigener Weise erscheint sie in der Übung der sogenannten evangelischen Räte. Diese von vielen Christen auf Antrieb des Heiligen Geistes privat oder in einer von der Kirche anerkannten Lebensform, einem Stand, übernommene Übung der Räte gibt in der Welt ein hervorragendes Zeugnis und Beispiel dieser Heiligkeit und muß es geben.“

„Alle Christgläubigen sind also zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet. Alle sollen deshalb ihre Willensantriebe richtig leiten, um nicht im Umgang mit Dingen der Welt und durch die Anhänglichkeit an die Reichtümer wider den Geist der evangelischen Armut im Streben nach vollkommener Liebe gehindert zu werden.“

Entsprechend wird im Katechismus der Katholischen Kirche die Unterscheidung zwischen den Geboten und den evangelischen Räten zwar auch auf die Vollkommenheit der Liebe bezogen, jedoch in übergreifender Weise:

„Die Gebote sollen aus dem Wege räumen, was sich mit der Liebe nicht vereinbaren läßt. Ziel der Räte ist es, zu beheben, was die Entfaltung der Liebe hemmen kann, auch wenn es nicht gegen sie verstößt.

Das Gelöbnis der evangelischen Räte begründet auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Stand des geweihten Lebens.“

Quelle: Wikipedia / Br. Stevie