Die unbeschuhten Karmeliten

Wer Br. Stevie kennt, wird sich nicht wundern, das er hier die Regel des Karmel anführt.
In seinen frühen Vierzigern sollte sich sein Verhältnis zu seinen damals permanend schmerzenden Füßen für immer ändern. Er entledigte sich seiner Einlagen und lief fortan nur noch barfuß (mit entsprechend hartem Training und verändertem Schuhwerk – wo nötig). Als er dann das Mönchtum studierte, war es für ihn eine äußerst humorvolle Begebenheit, dass der Erstkontakt mit dieser speziellen Lebensform die unbeschuhten Karmeliten waren – einer Reformbewegung des Karmeliterordens, von Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz angestoßen. Damals wußte Br. Stevie noch nicht, das die Karmelitische Spiritualität, die Spiritualität des Teresianischen Karmel, in ihm tiefste Resonanzen erzeugen würde.


Erst am 01.10.1247 wurde aus der einstigen eremitischen Laienbewegung am Karmel ein Orden, nachdem die Unruhen im Hlg. Land die Gemeinschaft(en) zwang, nach Europa auszuwandern. Diese Regel sagt nichts über die Spiritualität des Teresianischen Karmel aus – die ein Kind des 16. Jahrhunderts ist – und wird hier nur aus Interesse an der damaligen Lebensform angeführt.


Die Regel des Karmel
Gegeben durch Albert v. Jerusalem, um 1210.

1. Albertus, durch Gottes Gnade Patriarch der Kirche von Jerusalem, an die in Christus
geliebten Söhne B. und die übrigen Eremiten, die unter seinem Gehorsam beim Brunnen
auf dem Berg Karmel leben: Gruß im Herrn und des Heiligen Geistes Segen!
2. Oftmals und auf vielfache Weise haben die heiligen Väter gelehrt, wie einer, welchem
Lebensstand er auch angehört oder welche Form von Ordensleben er gewählt hat, in der
Gefolgschaft Jesu Christi leben und ihm mit reinem Herzen und gutem Gewissen treu
dienen soll.
3. Da ihr uns ersucht habt, euch eurem Vorhaben gemäß eine Lebensregel zu geben, die
ihr in Zukunft halten sollt:
4. bestimmen wir als erstes, dass ihr einen von euch als Prior haben sollt, der durch die
einmütige Zustimmung aller oder des größeren und verständigeren Teils zu diesem Amt
gewählt wird. Jeder von euch soll ihm Gehorsam versprechen und bemüht sein, das
Versprochene zugleich mit der Keuschheit und dem Verzicht auf Eigentum auch tatsächlich
zu halten.
5. Niederlassungen könnt ihr an einsamen Orten haben oder wo sie euch geschenkt
werden, sofern sie für die Beobachtung eures Ordenslebens passend und geeignet sind, so
wie es dem Prior und den Brüdern förderlich zu sein scheint.
6. Je nach Lage des von euch gewählten Ortes soll jeder einzelne von euch eine eigene,
abgesonderte Zelle haben, wie sie nach Anordnung des Priors und mit Zustimmung der
übrigen Brüder oder des verständigeren Teils einem jeden zugewiesen wird;
7. jedoch so, dass ihr im gemeinsamen Refektorium das, was euch gegeben wird,
miteinander genießt, wobei ihr eine Lesung aus der Hl. Schrift hört, wo dies leicht
beobachtet werden kann.
8. Außerdem ist es keinem Bruder ohne Erlaubnis des jeweiligen Priors gestattet, die ihm
angewiesene Zelle zu wechseln oder mit einem anderen zu tauschen.
9. Die Zelle des Priors soll sich am Eingang der Niederlassung befinden, damit er als erster
allen, die dorthin kommen, begegnen kann und dann alles, was zu tun ist, nach seinem
Ermessen und auf seine Anordnung hin geschehe.
10. Jeder einzelne soll in seiner Zelle oder in ihrer Nähe bleiben, Tag und Nacht das Wort
des Herrn meditierend und im Gebet wachend, es sei denn, er ist mit anderen,
wohlbegründeten Tätigkeiten beschäftigt.
11. Wer die kirchlichen Tagzeiten mit den Klerikern zu beten versteht, soll sie entsprechend
der Anordnung der heiligen Väter und der von der Kirche gutgeheißenen Gewohnheit
beten. Wer dies jedoch nicht kann, bete zur Matutin fünfundzwanzig Vaterunser. Eine
Ausnahme bilden die Sonn- und Feiertage, für die wir die Verdoppelung dieser Zahl
anordnen, so dass also fünfzig Vaterunser zu beten sind. Siebenmal soll dieses Gebet zu
den Laudes gebetet werden. Zu jeder anderen Tagzeit soll es ebenfalls siebenmal gebetet
werden, ausgenommen zur Vesper, bei der ihr es fünfzehnmal beten sollt.
12. Keiner der Brüder soll etwas sein eigen nennen, sondern es sei euch alles gemeinsam,
und einem jeden soll durch die Hand des Priors, das heißt durch den Bruder, der von ihm
mit diesem Dienst betraut ist, zugeteilt werden, was er braucht, unter Berücksichtigung
des Alters und der notwendigen Bedürfnisse jedes einzelnen.
13. Wenn es nötig ist, dürft ihr Esel oder Maultiere halten, ebenso einen kleinen Bestand
an Vieh oder Geflügel.
14. Ein Oratorium soll, sofern es leicht geschehen kann, inmitten der Zellen errichtet
werden, in dem ihr Tag für Tag frühmorgens zusammenkommen sollt, um der Messe
beizuwohnen, wo dies leicht geschehen kann.
15. Besprecht an den Sonntagen oder, falls notwendig, auch an anderen Tagen, die
Beobachtung eures Ordenslebens und das geistliche Wohl; dabei sollen auch
Übertreibungen und Fehler der Brüder, wenn solche bei jemandem wahrgenommen
werden, in Liebe korrigiert werden.
16. Beobachtet das Fasten vom Fest Kreuzerhöhung bis zum Tag der Auferstehung des
Herrn an jedem Tag, mit Ausnahme der Sonntage, es sei denn, dass Krankheit, körperliche
Schwäche oder ein anderer berechtigter Grund dazu rät, das Fasten aufzuheben, denn Not
kennt kein Gebot.
17. Enthaltet euch des Essens von Fleisch, außer es wird als Heilmittel bei Krankheit oder
Schwäche gebraucht. Und weil ihr häufig betteln müsst, wenn ihr unterwegs seid, könnt
ihr, um den Gastgebern nicht zur Last zu fallen, außerhalb eurer Häuser gekochte Speisen
mit Fleisch zu euch nehmen. Doch es ist auch erlaubt, auf See Fleisch zu essen.
18. Weil aber das Leben des Menschen auf Erden eine Prüfung ist und alle, die in Christus
ein frommes Leben führen wollen, Verfolgung leiden, euer Widersacher, der Teufel, zudem
wie ein reißender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlingen kann, sollt ihr mit aller
Sorgfalt eifrig bestrebt sein, die Waffenrüstung Gottes anzulegen, damit ihr den
Anschlägen des Feindes widerstehen könnt.
19. Zu gürten sind die Lenden mit dem Gürtel der Keuschheit; zu wappnen ist die Brust mit
heiligen Gedanken, denn es steht geschrieben: Ein heiliger Gedanke wird dich behüten.
Anzulegen ist der Panzer der Gerechtigkeit, so dass ihr den Herrn, euren Gott aus ganzem
Herzen und mit ganzer Seele und mit allen Kräften lieben könnt und euren Nächsten wie
euch selbst. Bei allem muss der Schild des Glaubens ergriffen werden, mit dem ihr alle
feurigen Geschosse des Bösen auslöschen könnt, denn ohne Glauben ist es unmöglich,
Gott zu gefallen. Auch der Helm des Heils ist aufzusetzen, damit ihr allein vom Heiland
euer Heil erhofft, der sein Volk von seinen Sünden erlöst. Das Schwert des Geistes aber,
das ist das Wort Gottes, wohne mit seinem ganzen Reichtum in eurem Mund und in eurem
Herzen, und alles, was immer ihr zu tun habt, geschehe im Wort des Herrn.
20. Ihr sollt irgendeine Arbeit verrichten, so dass der Teufel euch immer beschäftigt findet
und nicht wegen eurer Untätigkeit einen Zugang finden kann, um in eure Seele
einzudringen. Hierzu habt ihr die Unterweisung und zugleich das Beispiel des heiligen
Apostels Paulus, durch dessen Mund Christus gesprochen hat und der als Verkünder und
Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit von Gott bestellt und uns gegeben ist.
Wenn ihr ihm folgt, könnt ihr nicht irregehen. “Tag und Nacht haben wir gearbeitet”, sagt
er, “um keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht als hätten wir keinen Anspruch auf
Unterhalt; wir wollten euch aber ein Beispiel geben, damit ihr uns nachahmen könnt. Denn
als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll
auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen
und alles mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im
Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbstverdientes
Brot zu essen.” Dieser Weg ist heilig und gut, auf ihm müsst ihr gehen!
21. Der Apostel aber empfiehlt das Schweigen, wenn er vorschreibt, in Ruhe zu arbeiten,
wie auch der Prophet bezeugt: “Die Übung der Gerechtigkeit ist das Schweigen.” Und
ferner: “Im Schweigen und in der Hoffnung liegt eure Stärke.” Deshalb ordnen wir an, dass
ihr nach dem Beten der Komplet das Schweigen halten sollt, bis die Prim des folgenden
Tages gebetet ist. Wenn auch in der übrigen Zeit das Schweigen nicht so sehr gewahrt zu
werden braucht, hüte man sich dennoch sorgfältig vor Geschwätzigkeit, denn wie
geschrieben steht und nicht minder die Erfahrung lehrt: “Bei vielem Reden bleibt die
Sünde nicht aus” und “Wer unbedachtsam im Reden ist, dem ergeht es übel.” Sodann:
“Wer viele Worte macht, schadet seiner Seele.” Und der Herr selbst sagt im Evangelium:
“Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts
Rechenschaft ablegen müssen.” Daher wäge ein jeder seine Worte und zügle seine Zunge,
damit er nicht strauchle und durch seine Rede zu Fall komme und sein Fall unheilbar zum
Tod führe. Mit dem Propheten achte jeder auf seine Wege, damit er sich mit seiner Zunge
nicht verfehle, und er mühe sich sorgfältig und gewissenhaft um das Schweigen, in dem
die Übung der Gerechtigkeit besteht.
22. Du aber, Bruder B., und jeder, der nach dir als Prior eingesetzt wird, erwägt stets im
Geist und befolgt in der Tat,was der Herr im Evangelium sagt: “Wer bei euch groß sein will,
der soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.”
23. Ihr übrigen Brüder aber, ehrt demütig euren Prior, indem ihr eher an Christus denkt,
der ihn über euch gesetzt hat, als an ihn selbst, und der zu den Vorstehern der Kirche
gesagt hat: “Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab”,
damit ihr nicht wegen Verachtung gerichtet werdet, sondern durch Gehorsam den Lohn
des ewigen Lebens verdient.
24. Dies haben wir euch in Kürze geschrieben, um euch eine Regel zu geben, nach der ihr
leben sollt. Will aber einer noch mehr tun, dann wird es ihm der Herr selbst vergelten,
wenn er wiederkommt. Er gebrauche jedoch die Gabe der Unterscheidung, die die
Richtschnur der Tugend ist